Josef Mayer-Limberg

Literatur

Zugeschliffene Funde

Man erzählt, daß Josef Mayer-Limberg seine Dialektgedichte nicht erfindet. Der Pensionist geht nachmittags ins Cafe oder ins Beisel um die Ecke seiner Ottakringer Wohnung, trinkt seinen kleinen Braunen oder ein Viertel und hört zu. Am Heimweg schleift er die Edelsteine, die er da gefunden hat, dann zu den Solitären seiner Dialektgedichte zu. Dann wären die Hausmasda-Gedichte so etwas wie eine Ottakringer Kollektivpoesie, zu deren Sprechen sich der gebürtige Weinviertier gemacht hat? In dem Sinn, in dem Nestroy der Sprecher der Wiener und Josef Misson der Sprecher der Volksseele der Bauern der Manhartsbergdörfer gewesen ist, würde ich dem zustimmen. Mayer-Limberg, eine literarische Existenz, wenn es je eine gegeben hat, ein Mann, der zeitlebens Gedichte geschrieben, aber nicht veröffentlicht hat, ist 1973 mit dem Band „Fon de Hausmasda und de Möada“ mit einem Schlag in die erste Reihe der Dialektdichter getreten. 1978 folgte ein neuer Band „Eilodung zu de Hausmasda. Neuehe Gedichta aus Oddagring“. Mit dem, was heute als Dialektdichtung produziert wird, diesen Anbiederungen an den schlechten Geschmack, hat Mayer-Limberg nichts zu tun. Ihm gelingt etwas, was mich an Magie erinnert. Es kommt immer wieder vor, daß jemand einen Ausspruch macht, der ins Volle trifft, der einen besonders berührt. Kindern gelingt das. Der Kindermund bricht die Klischees nicht nur der Sprache, sondern des eingefahrenen Denkens und Fühlens auf. So originell sehen Zeit und Welt Mayer-Limbergs Ottakringer Nachbarn, Zufallsbegegnungen, Gasthausbekanntschaften: unverbildet, aber mit der Bilderfülle einer unverbildeten Vorstellungskraft. Wer nun glaubt, er braucht nur zu einem Ottakringer Branntweiner zu gehen und er kommt mit Gedichten heraus, hat sich ebenso getäuscht wie einer, der in den Tauern Gold finden will. Da müssen der unverfälschte Volksmund und das literarische Raffinement Mayer-Limbergs zusammenkommen, damit diese aggressive Anschaulichkeit entsteht, dieser anarchistische Realismus, der die Welt auf das Nächstliegende reduziert. In diesen Gedichten eines Weinviertiers ist die Wiener Seele konzentriert, ohne süßen und ohne sauren Kitsch, weder verniedlicht noch denunziert. Sie stellt sich selbst dar, und dabei kann einem gelegentlich das Lachen im sHals steckenbleiben. Lapidar drückt der Wiener in dieem Selbstporträt seine Verdrossenheit aus, seinen bösen Mutterwitz und eine Melancholie, die daher kommt, daß der Mensch sich der Grundlosigkeit seiner Zuneigungen und Abneigungen bewußt wird. Riwisl Riwisl Riwisl hede gean Ogrosl Ogrosl Ogrosl mogened Jede dieser Anekdoten, jeder dieser Aussprüche, Ausfälle ist getragen von einem großen Erstaunen, daß es das gibt. Die Leute erkennen sich und wundern sich über sich selbst. In Hochdeutsch kann man das nicht sagen, das hat seine Farbe und seine Durchschlagskraft nur in der gesprochenen Sprache. Mayer-Limbergs Thema, die Brutalität der Gemütlichkeit, seine Mittel, die Entlarvung der Phraseologie, sind nicht neu, aber er hat diese Kunstmittel, die ihm seine Zeit nahegelegt hat, dazu genützt, um mit einer eigenständigen Begabung etwas ganz Eigenständiges zu vollbringen: die Topographie einer Mentalität. Artmanns ,,Schwoazze Dintn“ war ein Geniestreich, seine Nachfolger haben das ideologisiert und sentimentalisiert, Mayer-Limberg macht es sich zunutze für ein Fresko aus lauter winzigen, scharfgestochenen Porträts. So genau wie er ist keiner, so scharfhörig, so aufmerksam, so scharfsichtig. Nicht nur die Gestalten stimmen, auch der Tonfall, die Phrasierung. Wobei zu spüren ist, daß er sich nicht ausnimmt, daß er sich unter seine Figuren zählt; an die Stelle der wohlfeilen Satire tritt die Selbstironie, die individuelle und kollektive Selbstironie, die viel mehr wert ist als die obligate Bürgerentlarvung. Er hat jene Unbarmherzigkeit, die man in Wahrheit nur gegen sich selbst empfindet, gegen das eigene Versagen, gegen die eigene Umgebung, während die Minisatiriker eigentlich nur ihre eigene Überheblichkeit produzieren. Mich erinnern Mayer-Limbergs Gedichte viel weniger an Vorbilder der Dialektdichtung wie Artmann als an die Unterweltgeschichten von Jorge Luis Borges, in denen ein bestimmtes Lebensgefühl dargestellt und mit Hilfe der Ironie transparent gemacht wird. Ich finde, daß Mayer-Limbergs Gedichte mehr zur Topographie Wiens beitragen als sämtliche anspruchsvollen illustrierten Wienbücher des letzten Vierteljahrhunderts. Wobei noch gar nicht die Rede von dem Vergnügen war, das sie mit ihrer sprachlichen Prägnanz, ihrer wienerischen Pointierung bereiten. Sicher steht er in der Entwicklung der Dialektdichtung; er hat davon profitiert, aber sich ihr nicht ausgeliefert, er hat sie selbständig verarbeitet. Seit Artmann ihnen die Zunge gelöst hat, schießen die Dialektdichter aus dem Boden, und ob’s ein Alt-Ottakringer Säuerling ist, eine Perchtoldsdorfer Fechsung, es schmeckt dem Leser genauso wie der gefälschte Grinzinger. So viel ist in der Literatur überhaupt noch nicht gepantscht worden. Das ändert nichts, daß die Dialektwelle etwas Neues war. Sie ist nicht in dem Bestreben entstanden, eine Stufe der sprachlichen Entwicklung oder auch der sprachlichen Zurückgebliebenheit zu konservieren, sondern sie will die literarische Sprache durch Wendungen der Alltagssprache, durch eine künstliche Verarmung bereichern. Die Dialektdichtung von heute ist der Kopfsprung der hohen Literatur in die Trivialliteratur. Deutschprofessoren haben früher ausdrücklich zwischen Dialekt und Jargon entschieden. Dialekt, das war die Sprache der Bauern in einem fernen Tal, Jargon, das war die verachtete Sprache der Arbeiter. Die neue Dialektdichtung ist natürlich in Wahrheit eine Jargondichtung. Die Kraftausdrücke haben die Rolle der Reizwörter übernommen, die schon immer die ausgelaugte Hochsprache beleben mußten. Der Jargon bietet nicht nur sprachliche, sondern auch thematische Möglichkeiten von der Aggressivität bis zur Heurigensentimentalität. Das hat Mayer-Limberg genützt. Er entlarvt mit Hilfe des Jargons auch den Appellcharakter der Sprache. Er erfindet nichts, er findet und schleift diese Funde, wie er das tatsächlich auch mit dem Bernsteiner Serpentin macht, zu. Er hat etwas, was Karl Kraus begonnen hat, intuitiv, wahrscheinlich ohne ästhetische Überlegung, zur Meisterschaft gebracht: Die Zitatenliteratur. Es gibt einen Zustand, in dem die Phantasie mit der Wirklichkeit nicht mithalten kann. Die raffinierte Anordnung der Zitate entlarvt eine Zeit, porträtiert einen Menschen. Mensch und Zeit stellen sich selbst dar. In den ,,Letzten Tagen der Menschen“ und in Mayer-Limbergs Hausmeistergedichten.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1983