Jürgen Wilke oder ein Theaterleben als Super-Intendant
Wie man seine Lehrjahre bei GustafGründgens verbracht hat und im Burgtheater neben allen Größen aufder Bühne gestanden ist, der Wessely, dem Hörbiger, dem Werner Krauss … Ja, Jürgen Wilke erzählt gerne von der Vergangenheit, die ihm die Maßstäbe für seine Arbeit mitgegeben hat, und der „Professor“, der noch immer-zumindest fast – wie ein jugendlicher Held aussieht, hat auch einiges, auf das er zurückblicken kann. Vor allem auch eine niederösterreichische Karriere. Das ist eine Frage der Quantitätwie der Qualität: 26 Jahre lang, von 1971 bis 1997, hat Jürgen Wilke die Stockerauer Festspiele geleitet, bevor er sie in die Hände von Alfons Haider legte. 16 Jahre lang, von 1991 bis 1996, war er Intendant der Perchtoldsdorfer Sommerspiele, undvorläufig hat noch niemand dort seine Sache so gut gemacht wie Wilke. Und wenn er die Sommerspiele in Laxenburg leitet, so weist er darauf hin, daß diese ja einst noch umfangreicher waren als heute – im Schloßtheater hat man ja seit 1980 seltene Opern und Operetten höchst vergnüglich gespielt, bevor dieser Strang aufgelassen wurde und nur noch die seit 1985 bestehenden Komödienspiele im Hof der Franzensburg weiterleben.Auchhier, wo er sich so erfolgreich derAltwiener Volkskomödie widmet, denkt Jürgen Wilke – einst der Super-Intendant des damaligen „Theatersommers“, nun nurnoch einervonvielen im Rahmen des „Theaterfestes“ – langsam ans Aufhören: „Ich werde sicher auch hier rechtzeitig jemanden suchen, der im Sinn des Altwiener Theaters in Laxenburg weiterarbeitet. Oder auch nicht. Ich gehöre schon ein bißchen zur altmodischen‘ Theatergeneration, vielleicht muß man heutzutage auch etwas ganz anderes machen …“Resignation? Nicht unbedingt. Jürgen Wilke genießt es bloß, nach einem ungemein arbeitsreichen Theaterleben mehr und mehr frei zu sein. Wobei er Freiraum immer benötigt hat. In seinem zweiten Jahr als Schauspieler, in der Provinz, hat sich er damals auf einen Zettel geschrieben, was er erreichen wollte: Das waren nicht der Homburg, der Don Carlos, der Ferdinand-alles Rollen, die er ohnedies gespielt hat ,„ich hatte immer nur den Wunsch, ich möchte nein sagen können, und in dieser Situation befinde ich mich.“Wilke, der Norddeutsche, der im Süden heimisch wurde, kam nach ersten Engagements in Oldenburg und Kiel zu GustafGründgens in dessen Düsseldorfer Ensemble: Der Max Piccolomini an der Seite von Gründgens‘ Wallenstein zu sein, zählt zu den unvergeßlichen Höhepunkten eines Schauspielerlebens. Ebenso, nach wichtigen Stops an den Münchner Kammerspielen und am Hamburger Schauspielhaus, an der Wiener Josefstadt für den „Hamlet“ von Oskar Werner den treuen Horatio zu verkörpern …1956 kam er an das Burgtheater, war dort noch der jugendliche Held“ (sein stürmischer Tempelherr bot einen heftigen Widerpart zu dem weisen Nathan Ernst Deutschs, sein Don Carlos stand dem König Philipp von Werner Krauss gegenüber, sein Prinz von Homburg dem Kurfürsten von Ewald Balser), beließ es aber nicht bei der braven Karriere eines Ensemblemitglieds: Jürgen Wilke ist ein Allround-Könner des Theaters, er ist den logischen Wegvom Schauspieler zum Regisseurund schließlich zum Intendanten, ja zum Multi- und Super-Intendanten gegangen, als er Mitte der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre schon die genannten drei (fast vier) Sommerspiele in Niederösterreich leitete. In Stockerau hat er die großen Komödien der Weltliteratur auf den Spielplan gesetzt, ohne zeitliehe und räumliche Begrenzung, und das Publikum hat es geliebt, Shakespeare oder Moliere, Shaw oder den „Raub der Sabinerinnen“ zusehen. Nach anderen Prinzipien ging er in Perchtoldsdorf vor – und in der Erinnerung daran ist er ein wenig stolz: „Einen solchen Spielplan, wie ich ihn dort verwirklicht habe, wird man bei FreilichtTheater selten finden eine ,Wallenstein‘-Trilogie ebenso wie eine Uraufführung zum Türkenjahr damals, Shakespeares ,Romeo und Julia‘ oder Dürrenmatts,Besuch der alten Dame‘, mit unglaublichen Schauspielern, angefangen von Romuald Pekny, Raimund Harmstorf, Gott hab‘ ihn selig, bis zu Gisela Uhlen und zu meinen Burgtheaterkollegen … Das war natürlich mein Wettbewerbsvorteil: Wenn man so viele Jahre mit den ersten Leuten an deutschen Theatern gespielt und sich gut verstanden hat, dann konnte man sie auch dafür gewinnen, aufdie Freilichtbühne zu kommen. Heinrich Schweiger, der sechsmal in Perchtoldsdorf mit dabei war, hat einmal erklärt, warum er es macht: ,Weil ich hier so Theater spielen kann, wie ich es gelernt habe’…“Jürgen Wilke, der auf über 60 Inszenierungen von Stücken aller Genres zurückblickt und noch immer das Tourneetheater ,Der grüne Wagen“ leitet, sagt: ,,Ich habe in meinem Leben so viel gespielt und gearbeitet, daß ich soweit sein möchte, meinen Beruf nur mehr des Vergnügens wegen auszuüben. Und ich befinde mich in einem wahren Glückszustand -denn ich kann es mir leisten, nein zu sagen.“ Ja sagt er gewiß zum Kulturpreis des Landes Niederösterreich, der sich zu den vielen Ehrentiteln gesellt, mit der seine Wahlheimat Österreich Jürgen Wilkes vielfältige Verdienste um das Kulturleben bereits gewürdigt hat.