Karin Vidensky

Bildende Kunst

Existentielle Kunst

Bei Kunst geht es nicht um Kunst. Bei Kunst geht es um das Leben, und das faßt es zusammen.“ (Louise Bourgeois) Im Fall von Karin Vidensky gehören Kunst und Leben eng zusammen: Die Liebe hat die gebürtige Schweizerin zunächst nach Wien verschlagen. Daß sie damals, 1990, beim ersten Anlaufin die Meisterklasse von Bruno Gironcoli an der Akademie der bildenden Künste aufgenommen wurde, war „ein Geschenk des Himmels“. Anfangs allerdings hatte die Tochter eines Architekten nicht nur Schwierigkeiten mit den Techniken der Bildhauerei, sondern auch mitjener rein ästhetisch-formalistischen Denkweise, die sie von Kindheit an geprägt hatte und von der sie sich nur zu gerne lösen wollte. Denn bei aller Schönheit der Dinge, mit denen sie aufgewachsen war, hatte sie stets die Geschichten dahintervermißt. Die Befreiung vom Formal-Ästhetischen gelang Videnskyletztlich überraschend (beimAufbau ihrer zweiten Ausstellung an der Akademie): durch einen kräftigen Fußtritt. – Das linsenförmige Objekt aus Gips von einem Meter Durchmesser wollte sich nirgendwo einfügen. Also sollte es sich seinen Platz selber suchen: „Die Linse zeichnete eine feine Linie auf den Boden, teilte sich nach mehreren Metern wieder in ihre Hälften und beschrieb einerseits eine Spirale …, währenddessen die zweite Hälfte gegen die Wand prallte und zerbrach.“ Die Rauminstallation, die unter anderem die Skulptur eines verstümmelten Hasen ( ohne Ohren, Augen und Schwanz) und einen aus Draht geformten Totenkopf umfaßte, erregte einiges Aufsehen. Auch privat bahnten sich gravierende Veränderungen an: Das junge Paar hatte per Inserat einen Bauernhofsamt Landwirtschaft zu pachten gesucht und war im Waldviertel fündig geworden. 1992 also erfolgte der Umzug aufs Land, 1993 die Geburt einer Tochter und 1994 die Geburt von Zwillingen. – Für die künstlerische Arbeit freilich bedeutete es eine Unterbrechung. Daß sich die Künstlerin nach der zwangsläufigen Pause ausgerechnet mit dem Selbstporträt auseinandersetzte, verwundert nicht. Ist es doch Ausdruck der Hoffnung, sich selbst zu finden. 1997 entstand eine mehrteilige Arbeit, die unter dem Titel ,,Kopflasten“ in Basel gezeigt wurde: Ein Überseekoffer mit zehn aus Bienenwachs geformten Selbstporträts, ein aus gepreßten Bienenwaben gefertigter Kopfaufeiner Plexiglassäule (in Körpergröße der Künstlerin) sowie zwei Schieferplatten, in die die Hand- und Fußlinien der Künstlerin geritzt sind. – Nicht zuletzt also auch eine Auseinandersetzung mit dem Körper. Im Zusammenhang mit diesem Themenkomplex war Vidensky vor allem die Wahl des Materials wichtig: Es sollte vergänglich sein wie das Leben, sich nicht zur „Monumentalisierung“ eignen. Die Diplomarbeit ,subkutan“ (1997) war sozusagen die Fortsetzung: Neun Einzelbilder in Sand ergaben ein Selbstporträt der Künstlerin im Format von etwa 5 x 4 m. Für diese Arbeit hatte Vidensky ein gerastertes Porträtfoto in mehreren grafischen Schritten so lange überarbeitet, bis die Auflösung die Erkennbarkeit der Person völlig in den Hintergrund drängte und die Rasterung vielmehr einer Landschaftsstruktur glich. „Die Teilung in Segmente unterstützt die Eigenständigkeit der Betrachtungsebene und gibt dem Betrachter jene Landschaften frei, die hinter den Oberflächen der naturalistischen Darstellungsmöglichkeiten verborgen bleiben.“, so Vidensky. -„Im Sand fand ich ein Material, welches einerseits eine momentane Festigkeit erreicht und mir eine exakte Arbeitsweise erlaubt, andererseits auf äußere Einflüsse (z. B. Berührung) empfindlich reagiert.“Mittlerweile lebt Karin Vidensky in Krumau am Kamp, alleine mit ihren drei Kindern. Die künstlerische Arbeit passiert vorwiegend in der Nacht. Das 1998 entstandene ,,Fahrtenbuch“, eine Art Fotoalbum aus SW-Fotografien hinter Plexiglas, handelt von der Überlagerung verschiedener Welten, von Tagträumen, visualisiert mit Hilfe fotografischer Doppelbelichtung. „Volksgarten“, eine der jüngsten Arbeiten, beruht ebenfalls aufdem Prinzip der Doppelbelichtung: in die U-Bahnstation Volksgarten wächst ein ,echter“ Garten hinein. Vidensky hat aus diesem Bild ein Puzzle gemacht. Ein Puzzle, das mit Sicherheit kein Kind anspricht. In seiner „Verrücktheit“ weist es auf das gemeinsam mit Katharina Oder geplante Projekt ,,Wohnraumspiegelung“ hin. Es wird darum gehen, verschiedene Wohnräume hinsichtlich ihrer Funktionen und ihren Beziehungen zu den darin lebenden Menschen zu untersuchen und künstlerische Eingriffe vorzunehmen.Sieht man Karin Videnskys Werk mit seinem Hang zu biographischer Narrativität in einem größeren Kontext, bestätigt sich einmal mehr, daß in dem aktuellen Existenzzustand des Menschen ohne sensus communis die unmittelbaren, konkreten Erfahrungen des ,,konkreten Selbst“ zu den einzigen grand narratives unseres Lebens geworden sind.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1999