Impulsiv und stilkundig
Einer Kritik, zu einer Zeit, als Leopold Emmer an der Spitze des Wiener Akademischen Orchestervereins stand, sind diese beiden Bezeichnungen entnommen: impulsiv und stilkundig. Eine Charakteristik, sehr wohl auch geeignet, über den Menschen, Komponisten, den Musiker Leopold Emmer überhaupt etwas auszusagen, gewissermaßen jene beiden Momente aufzuzeigen, die ihn und sein musikalisches Schaffen stets durchziehen. Denn was immer Leopold Emmer zeit seines Lebens angefaßt und ausgeführt hat, stets hat er dafür persönliches Engagement und stilvolle Kenntnis miteingebracht. Leopold Emmer ist gebürtiger Nordmährer. Am 12. Mai 1912 wurde er im dortigen Tichau geboren. In Nordmähren, nämlich in Neutitschein, hat er auch die Mittelschule besucht und anschließend an die Matura den Weg nach Wien an die heutige Musikhochschule und damalige Akademie für Musik und darstellende Kunst, Abteilung Kirchenmusik, gewählt. Eine Entscheidung, die fortan zur Basis für Emmers vielschichtiges Wirken wurde. Denn in Komposition unterwies ihn mit Josef Lechthaler einer der profiliertesten Kirchenkomponisten, die Österreich je hervorgebracht hat und der sich zudem berühmen konnte, Schüler jenes Guido Adler gewesen zu sein, dem die internationale Musikwissenschaft Wesentliches ihres Rufes verdankt. Die Kapellmeisterklasse leitete Alexander Wunderer, einer der profundesten Kenner und Exegeten der sprichwörtlichen Wiener Musikgesinnung, ein espritreicher Wahrer der Tradition, aber ebenso stets in Kenntnis der jeweils aktuellen Entwicklungen. Ihm verdankt Emmer einen reichen Abschnitt seiner musikalischen Laufbahn die als Dirigent. Sie schließt unmittelbar an seinen mit Auszeichnung bewältigten Akademie-Abschluß an, nimmt man die Zeit, wo Emmer als Pianist ein Streichquartett quer durch Europa begleitet hatte, als eine Art instrumentales Intermezzo. Die Jahre 1930 bis 1936 sehen Leopold Emmer als Kapellmeister einer der traditionsreichsten österreichischen Institute der Wiener Sängerknaben. Emmer hat hier nicht nur mannigfach Konzerte dirigiert, sondern die Sängerknaben selbstverständlich auch auf vielen Reisen begleitet, vor allem aber sich die Chorliteratur in einer so profunden Weise angeeignet, daß auch die nächsten beiden Abschnitte seiner Karriere sehr logische waren. Kaum, daß er sein Sängerknaben-Engagement beendet hatte, suchte er die hier gewonnenen Erfahrungen persönlich zu erarbeiten und widmete sich dafür gleich zwei Bereichen: als Konzertdirigent konzentrierte er sich im In- und Ausland auf das symphonische Repertoire und setzte sich bei seinen Programmierungen selbstverständlich auch für Zeitgenössisches ein, und als freischaffender Komponist knüpfte er zum einen an die Ergebnisse seines Lechthaler-Studiums, zum anderen an seine frühen eigenen Versuche an, die wie könnte es bei einem glänzenden Pianisten auch anders sein -Piecen für Klavier, die „Variationen über ein Thema im alten Stil“ nämlich, waren. Aber viel Zeit bleibt auch jetzt noch nicht für den Komponisten Leopold Emmer, denn bereits 1943 erreicht ihn der Ruf, als Chordirektor an die Wiener Staatsoper zu gehen. Eine Aufgabe, die den bei der Sängerknabenarbeit chorisch gewachsenen und fundierten Leopold Emmer mit viel Stolz erfüllt, ihn mit den ersten Interpreten seiner Zeit in Verbindung bringt und ihn bis 1948 an das Haus am Ring bindet. Dem Dualismus des schöpferischen und nachschöpferischen Musikers, wie er es für kurze Zeit nach 1940 versucht hatte, bleibt Leopold Emmer dann die folgenden neun Jahre in einer spezifischen Art treu. Da gilt es einmal die nie ganz brachgelegene kompositorische Tätigkeit in verstärktem Maße aufzunehmen, wobei wie es ein Blick auf die damals entstandenen Opera unschwer verrät Emmer hiefür seine gewonnen Erfahrungen als geachteter Chor- und Orchestererzieher verarbeiten kann, aber ebenso dem Wiener Akademischen Orchesterverein kompetenter und erfolgreicher Chefdirigent zu sein. Und das ist, kennt man die Wiener Verhältnisse und vor allem seine Orchester- und lnterpretenlandschaft, eine so schwierige wie herausfordernde Aufgabe, die, wie sich in Rezensionen unschwer nachprüfen läßt, Leopold Emmer in der ihm eigenen, gleichermaßen von Wissen wie von leidenschaftlicher Begeisterung geprägten Weise, glänzend bewältigt. Wobei er etwa seinen Klangkörper für ein Festkonzert mit Karl Böhm am Pult derart präpariert, daß auch Böhm voll des Lobes über Emmer ist. Apropos Dirigenten: Ein zweiter großer Name ist unmittelbar mit Leopold Emmer in Verbindung zu bringen. Nämlich Herbert von Karajan. Und wer das Glück wie der Verfasser dieser Zeilen hatte, dem Pädagogen Leopold Emmer durch Jahre begegnet zu sein, der erinnert sich nicht nur daran, daß Karajan zeitgleich mit Emmer in Alexander Wunderers Kapellmeisterklasse lernte, sondern auch, daß es Karajan schon damals Richard Strauss‘ ,,Don Juan“ besonders angetan hatte. Damit ist gleich die Brücke zu Leopold Emmers weiterem Tätigkeitsbereich geschlagen, der 1957 begann und den in Wien längst heimisch gewordenen und für schwierige Celesta-Aufgaben auch in die renommierten Wiener Orchester immer wieder gebetenen Leopold Emmer in das niederösterreichische Krems transferierte. Bis 1957 wirkt er als Professor für Musikerziehung an der Bundeslehrerbildungsanstalt und dem auf diese Schulform nachfolgenden Musisch-pädagogischen Bundesrealgymnasium, aber auch als Dozent und Prüfungskommissär für Musikerziehung am ,,Institut für Lehrerfortbildung“ beim Landesschulrat für Niederösterreich in Krems, wofür er 1971 mit dem Titel „Oberstudienrat“ ausgezeichnet wird. Womit wir bei der letzten Zäsur von Leopold Emmers Wirken sind. Denn für den Professor und Oberstudienrat Leopold Emmer bedeutete der Abschied von der Schule keineswegs den sonst üblichen Ruhestand. Im Gegenteil, er weiß diese Möglichkeit kompositorisch zu nützen, setzt sich kritisch mit der gegenwärtigen Musikentwicklung auseinander, schöpft aus seiner Erfahrung und seinem Wissen immer wieder die Kraft für Neues und verfolgt derart konsequent seinen einmal eingeschlagenen Weg. Und der heißt für den Komponisten, stets auf der Basis der Tradition stehend nach neuen, von eigenpersönlicher Dynamik betimmten Ausdrucksformen zu suchen, sich jeweils zu einer sehr farbigen Sprache zu bekennen und mit rhythmischer Vielfalt nicht zu geizen. Leopold Emmer hat also mit Klaviermusik, die durchaus auf dem Boden der spätromantischen Entwicklung fußt, begonnen, wobei etwa die ,,Variationen über ein Thema im alten Stil“ schon von ihrer Bezeichnung her die von Emmer stets betonte Symbiose von traditionellen mit zeitgemäßen Momenten und Werten veranschaulicht. Aber auch ein Impromptu und ein Klavierkonzert zeugt von dem Faible des Pianisten Emmer für sein Instrument. Auch der Orgel, jenem dem Klavier artverwandten Instrument, ist Emmer zugetan, wie sich aus einer Passacaglia und Fuge über den Choral ,,Christ ist erstanden“, womit auch Emmers tiefes Christentum dokumentiert ist, ablesen läßt. Emmer hat, und dies ist aus einer persönlichen Entwicklung ganz selbstverständlich, auch eine Anzahl von Opera für Chor geschrieben und zahlreiche Chorbearbeitungen verfaßt, mehrfach in seinem Werk das Thema Kammermusik behandelt und auch dies seit seinen Anfängen als Komponist – sich für das Genre Lied interessiert, was in Maria Wiegenlied“, wo der Sopran von einem Quartett begleitet wird, ein frühes und prägnantes Beispiel hat. Reichhaltig ist Emmers Schaffen für Orchester, worunter sich die ,,Ouvertüre zu einem Schauspiel“, der für großes Orchester formulierte Orchesterhymnus ,,Resurrectio“, die ,,Frühlingskantate“, ein Werk für Soli, Chor und Orchester nach Eichendorff-Gedichten, die ,,Große und kleine Fanfare in Es“ für Blechbläser und Pauke und der noch seiner Uraufführung harrende ,,Hymnus Clange Gottwicum“, aus Anlaß der 900-Jahr-Feier des Stiftes Göttweig nach einer lateinisehen Vorlage von Abt Clemens Lashofer verfaßt, finden. Auch eine Oper stammt aus Emmers Feder, die 1950 komponierte und auf einem Libretto von Walther Walford und dem Komponisten basierende, noch nicht aufgeführte ,, Madonna bionda“, ein ebensolches religiös durchdrungenes Bühnenwerk wie die Jahre später entstandene musikalische Legende „Osterinterludium“ oder Emmers bislang erfolgreichstes Opus die musikalische Weihnachstlegende ,,Die Heilige Nacht“, ein mehrfach im Hörfunk ausgestrahlter und im Fernsehen am Heiligen Abend zu sehen gewesener Versuch, dem Weihnachtsgeheimnis aus persönlicher religiöser Überzeugung und gepaart mit einer zeitgemäßen Verbindung von rhythmisch durchzogenen Elementen der Polytonalität und Kontrapunktik zum Teil aufwühlend-aktuell nachzuspüren.