M. Tehel

Literatur

Der kleinere Fehler

Es ist schön, den künstlerischen Werdegang eines Menschen zu verfolgen. Eine solche Gelegenheit bietet der vor kurzem in der Edition Maioli in Wien erschienene Gedichtband ,,Die Entdecker“ des jungen Niederösterreichers und heurigen Förderungspreisträgers für Literatur, Bruno Weinhals. Wie alle, die nach außen hin wirken, lebt er nach innen, sich selbst genug mit seiner kleinen Wiener Wohnung, im Sommer auf Entdeckungsreisen, im Winter hinterm Ofen, ,,faul wie ein Kater“, um seine eigenen Worte zu gebrauchen. Die äußeren Stationen sind belanglos: Geboren 1954 in Horn, als Kind in Stockerau, seit 1968 in Wien. Sein Übersetzerstudium bringt ihm beruflich nichts, ist aber zweifellos von großer Bedeutung für sein Schaffen. Gerade das Befassen mit anderen Sprachen macht einem ja die Vorzüge und Mängel der eigenen klar. Quantitativ ist sein bisheriges Schaffen gering. Daß es ihm vier beachtliche Auszeichnungen brachte, spricht für seine Qualität. Und damit gleich zum erwähnten Gedichtband. Er enthält sechsundzwanzig Gedichte und eine Suite, ,,Hieronymus im Gehäus“. In ihr tritt Weinhals als poeta doctus auf, als Dichter, der sich nicht scheut, vorgefundenes Material, Prägungen in einem doppelten Sinn, ins eigene Schaffen aufzunehmen und so seine intellektuellen Wurzeln freizulegen. Vom Schreiben und seinem Ambiente handelt das erste Gedicht, Poetik. Eine Pastorale, ein Aufarbeiten und ruhiges Beschreiben der Schreibtischumgebung: Blätter vom letzten Jahr Reklamen, Flugzettel und Postwurfsendungen. Keine schönen Frauen, Ingrimm und das immer gleiche Bild vor Augen. Neunzehn Stecknadeln, Notizen, aufgespießt (Beförderungsgebühren ( Post) für Briefsendungen), begonnene Exzerpte (die Vergangenheit (Kursbuch 52) ist die Wirksamkeit der toten Arbeit), lappländische Reise, Ölberge, die Insel Delos. Scheinbar unpoetische Dinge, Alltäglichkeiten, die wie bei einem Maler durch Arrangement und Technik an Poesie gewinnen. Denn was in den Köpfen ist, muß ins Gedicht. (Weiters:) Grelles Verstummen, unzweideutig. Weiterungen, Prosa, unbrauchbares Vokabular, angeblich. Die Problematik, die Auden mit der strengen Form zu bewältigen suchte, hat hier eine korsettlose Formulierung von nicht geringerer Stabilität gefunden. Folgerichtig schreibt Weinhals: Dieses Gedicht ist gereinigt, spritzlackiert und aus erster Hand, Schädeldecken gepflegt, funktionell wie ein amerikanisches Bad. (Luis Bunuel) Literatur hat für Weinhals nicht die Funktion von Rizinusöl (schnelle Wirkung und plötzliche Befreiung); Einsiedeln und Stubenhocken, der Narzißmus der engsten Umgebung gegenüber, Kritik und Zweifel an den Antagonismen der Bücher, das dialektische Idyll, die Erkenntnis, daß das unterirdische Leuchten der Romantik verbleibt, all diese Prämissen, Abgrenzungen und lnfragestellungen schließen sehr poetische Gedichte wie Wetterwendisches Poem“, „Die Photographierten“, Abendgebet“ oder die prachtvollen Römischen Gedichte („Appunti/Notizen“ und „Tessera“) nicht aus, was den Leser zum Schmunzeln bringt: die Muse ist doch stärker als die Ratio. Das gilt trotz und wegen des prosaischen Vorspanns. Trotz der Feststellung, daß die Schrift immer hinterher hetzt, unklar wie immer Spuren beschreibend. Natürlich stimmt es, daß das stillste Gedicht weißes Papier heißt, und als Hörende und Sehende sind wir nicht auf die Chiffren des Mitmenschen angewiesen. Wohl aber, wenn wir Mithörende und Mitschauende werden, also immer dann, wenn zwischen Künstler und Konsumenten ein anderes Medium als das der Telepathie steht. Was nicht die Diskussion über die Mittel, wohl aber über das Medium selbst ad absurdum führt. Nachvollziehbar und deckungsgleich sind alle Gedichte der Tessera; daher zum Abschluß das besonders eindrucksvolle Via Mancinelli: Hinter dem Ende dieser Straße eine grüne Fläche In der Entfernung vielleicht ein blauer Streifen (zeigt der Stadtplan) Das Ende dann eine niedrige Steinmauer und darübergebeugt der Blick hinunter auf Häuser Neuerlich und neu. Jedes Gedicht ist ein Fehler, aber keine Gedichte, das wäre der größte, schreibt Weinhals in seiner Poetik. Denn Eine Leidenschaft muß der Mensch haben, manche trotzen Feuer und Wasser, um Zeitwörter beugen zu dürfen. Es stammt dieses Zitat aus Hamsuns Die Weiber am Brunnen; es ist aber charakteristisch für die intellektuell kritische, emotional aber impulsive Dichtkunst des jungen Förderungspreisträgers.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1983