Facetten von Schatten
„Über allem war Licht“ heißt das Romandebüt von Magda Woitzuck, und das Cover unterstreicht die zu erwartende Ambivalenz der Figuren und die ihrer Geschichten mit einem toten Spatz.
Die 1983 in Wien geborene Autorin lebt in Niederösterreich und verortet den Roman in jenem Raum, dessen landschaftliche Weite zuweilen zum Biotop enger Gemeinschaften wird: Keiner quert die Straße, ohne den eigenen Schattenseiten und jenen der anderen Dorfbewohner zu begegnen. Vor diesem Hintergrund erzählt Magda Woitzuck von einem Dreiecksverhältnis und lässt durch ihre schmucklose Sprache den Leser ungefiltert in die Gefühls- und Gedankenwelten ihrer Figuren laufen.
Spätestens auf den zweiten Blick ist keine lediglich Opfer oder Täter. Die Erzählhaltung ist gelungen neutral, da sie den Leser nicht davor schützt, selbst Position zu beziehen. Zugleich unterstreicht sie eine irritierend abgestumpft wirkende bis traumwandlerische Teilnahmslosigkeit der Handelnden. Die genaue Beobachtung und die Auswahl der Details, auf die sich Magda Woitzuck beim Entrollen der Geschichte verlässt, sind wesentlich für die Qualität dieses Romans.
Das Unbehagen, das einen beim Lesen befällt, gilt als Beweis: Jeder kennt solche Figuren. Glaubt man jedoch, einen Charakter erfasst zu haben und dessen Agieren nach gängigen Werten einordnen zu können, zeigt er eine Facette, die den eigenen Zugang revidieren lässt – die Ambivalenz überträgt sich auf den Leser. Der Entwicklungsweg der Handelnden und der ihrer Beziehungen untereinander werden mitgeliefert, während sie mit einem zunehmend offenkundigen Verbrechen umgehen. Loyalitäten aller Art werden in Frage gestellt, und der Leser darf sich allein an der Bewertung von Richtig und Falsch abarbeiten.
Ob der Spatz in der Hand tot sein muss, wenn man nach der Taube greifen will, ist nur eine vieler Fragen, die Magda Woitzuck mit „Über allem war Licht“ stellt. Sich darauf einzulassen ist mit diesem Roman ein ungefährliches Vergnügen und der zugesprochene Anerkennungspreis für Literatur 2018 eine zusätzliche Sicherheit für zukünftige Leser.
Gudrun Büchler