Magdalena Sadlon

Literatur

Meisterin der geborgten Sprache

Die Sprache ihrer Mutter ist Slowakisch, Deutsch ist die Leihgabe des Landes, das sie seit einunddreißig Jahren ihr Zuhause nennt. Magdalena Sadlon, Jahrgang 1956, emigrierte mit ihren Eltern aus der Slowakei gleich nach dem Prager Frühling 1968. Am Anfang war es für die damals Zwölfjährige ein Abenteuer. Doch die anfängliche Euphorie löste sich bald auf. Deutsch schien ihr eine unlernbare Sprache zu sein, die Menschen machten ihr Angst, die Landschaft war aufeinmal sehr fremd. Es dauerte drei Jahre, bis sie sich einigermaßen eingelebt hatte und geborgen fühlte. ,,Was aus mir geworden wäre, wenn ich in der Slowakei geblieben wäre?“ wiederholt sie meine Frage. „Es wäre alles anders geworden“, sagt sie lachend. ,,Ich wäre wahrscheinlich in die Fußstapfen meines Vaters getreten und wäre Arzt wie er geworden und hätte jetzt einen ,soliden‘ Beruf.“ Aber wie gesagt, es kam alles anders. Tatsächlich studierte sie einige Wochen Medizin, später wechselte sie zur Slawistik, aber dann packte sie kurzerhand ihre Sachen und fuhr nach Spanien, wo sie als Reiseleiterin und Animateurin ein halbes Jahr verbrachte. Das Improvisieren und Spielen machte aufeinmal Spaß. Nach der Rückkehr nach Österreich bewarb sie sich am Bruckner Konservatorium in Linz und wurde als Schauspielschülerin aufgenommen.,,Ich habe einmal in Dantons Tod die Marion gespielt“, sagt sie. ,,Ich war damals erst zwanzig, höchstens zweiundzwanzig Jahre alt und sollte mich in eine Prostituierte hineindenken. Da war aber irdendwo ein Bruch – die Deutsche Sprache und mein Körper paßten nicht zusammen. Damals habe ich es begriffen: Ich habe alle Weichheit, die ein Mensch nur erfahren kann, in der slowakischen Sprache erfahren, all das, was der Seele gut tut. Wie soll ich auf einmal damit in einer fremden Sprache umgehen?“ Sie „übersetzte“ sich die Körpersprache der Hure ins Slowakische, realisierte ihre Gefühle und Empfindungen und ,, übersetzte sie zurück“ in die Deutsche Sprache, in der sie diese Figur darstellen sollte. So kompliziert konnte es nicht funktionieren.Aus der Diskrepanz zwischen ihren Gefühlen und der neuen, unbeugsamen Sprache macht sie eine Tugend. Sie funktioniert die Deutsche Sprache zu ihrem Werkzeug um, erarbeitet sich einen eigenen Wortschatz als Instrumentarium für ihre Texte. Sie geht mit der neuen Sprache sachlich um, traut sich Worte zu verwenden, für die sich andere vielleicht schämenwürden. ,,Das Nichttrauen oder Schämen in der Sprache kenne ich nicht, weil mich mit diesen Worten keine Geschichte, keine Vergangenheit verbindet.“Bisher hat sie drei Bücher veröffentlicht. ,,Man sucht ein Leben lang“ sind Anagramme, die der Gattung der experimentellen Lyrikzuzuordnen sind. Auch ihr zweites Buch ,,Entweder Olga“ ist ein experimenteller Text. (Beide Bücher sind im gangan Verlag erschienen.) Es war ein Versuch, der, wie sie selbst zugibt, nicht angekommen ist. Trotzdem war ihr dieses Sprachspiel wichtig, dieser Ausdruck der Fremdheit in der Sprache, das Erforschen ihrer Tiefen, Suche bis an die beidseitigen Grenzen. ,,Jetzt aber wollte ich, daß man mich versteht, daß meine Texte lesbar werden.“,,Die wunderbaren Wege“ihr Erstlingsroman, ist heuer im Zsolnay Verlag erschienen. Drei Jahre hat sie mit ihrer Hauptfigur Jakob Sagmeister verbracht, ihn durch sein Leben begleitet, seine Alltagsgeschichten aufgeschrieben. Um dem Verdacht zu entkommen, daß das Buch autobiographische Züge aufweisen könnte, wählt sie eine männliche Hauptfigur. Sie legt Jakob Sagmeister Worte in den Mund, ,, … die man als Frau nicht sagen kann. So habe ich die Möglichkeit gehabt, meine Schweinereien rauszulassen – ab und zu einen bösen Gedanken zu haben, den ich mir ansonsten verbiete. Das ist aber sicher nicht die Triebfeder für die Figur gewesen.“,Ich habe gespürt, daß ich diesmal ein gutes Buch geschrieben habe“, und die Pressereaktionen geben ihr recht. ,,Die wunderbaren Wege“ sind in der Auflage von 3.000 Stück erschienen, die schon fast vergriffen sind. Der Zsolnay Verlag plant eine Zweitauflage. Darüber hinaus erscheint das Buch 2001 im dtv Verlag als Taschenbuch.Magdalena Sadlon fand in der neuen Sprache einen Ton, der in der deutschsprachigen Literatur ankommt. Der Wiener Autor Franzobel spricht von ,,einer kleinen, stillen Sensation“. Dem kann man nur zustimmen.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1999