Maria Seisenbacher

Literatur
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Schönheit zeitloser Gedichte, die erzählen

„Kalben“, Maria Seisenbachers fünfter Lyrikband, nimmt die Lesenden mit auf eine Reise in von Mythen verzauberte Berglandschaften, die der Autorin bzw. dem Autor durch ihre bzw. seine Kindheit und Jugend in den niederösterreichischen Alpen vertraut sind. Der zeitliche Bogen spannt sich von längst vergangenen Zeiten bis ins Heute.

So beginnt das erste Gedicht

„Alte Tage“ mit folgenden Zeilen: „es kommen / alte Tage mit / in der Mitte aufgerissener / Naht im Mund.“

Während frühere Lyrikbände Themen wie Kindheit oder Alzheimer aufgriffen, hat „Kalben“ mystische Überlieferungen als Ausgangspunkt. Etwa die Saligen, Frauengestalten, die „Erinnerungen an eine matriarchal geprägte Zeit in den Alpen“ verkörpern, wie man im Glossar erfährt. Dieses bietet Wissen, das von vergessenen Riten bis hin zu mächtigen Urwesen reicht. Glossar und Gedichte gehen eine produktive Verbindung ein – überlieferte Stoffe und zeitlose Wahrnehmung der Berge ergänzen einander.

Unmittelbarkeit zeichnet die in reduzierter und klarer Sprache gehaltenen Gedichte Seisenbachers aus: „sag / glaubst du der anderen Kraft / wenn der Wind kühl vom Berg zieht.“ Diese Direktheit entsteht auch durch starke poetische Bilder: So nehmen etwa Landschaften menschliche Gestalt an – „über mit Gras / gewachsenem Kinn glüht / Weg am Reif / Gedankenlos grün“ – oder setzen Objekte eigene Handlungen: „wo dein Haar den Wolken winkt“. Den Rhythmus dazu gibt auf der dem Buch beigelegten CD die Musikgruppe „3 Knaben Schwarz“, die in einem Wechselspiel aus Verve und Ruhe ausgewählte Gedichte vertonte. Matthias Schmidts blaugraue Grafiken von Gletscherwelten zu jedem Gedicht vervollständigen das Gesamtkunstwerk.

Geheimnisvoller Sprachzauber, unaufgeregte Verknüpfung mystisch-weiblicher und mystisch-männlicher Stoffe mit zeitlosen Beobachtungen rauer Alpenlandschaften sowie die intermediale Offenheit bilden die Substanz der Gedichte Maria Seisenbachers. Dank Übersetzungen, zuletzt ins Englische, Mazedonische und Schwedische, finden diese poetischen Kunstwerke weit über den deutschsprachigen Raum hinaus Beachtung.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2019