Peter Janisch

Sonderpreis
Ausübende Kunst

Thespis contra Aesculap

Im Wiener Theater- und Opernleben gab und gibt es mehrere Mediziner, die aus dem weißen Ordinationsmantel ins bunte Kostüm wechselten, ihre Mitmenschen fortan nicht mehr als potentielle Patienten, sondern als Publikum betrachteten, die keimfreie Atmosphäre von Kliniken hinter sich ließen, um sich mitten im Miasma des Bühnenbetriebs zu behaupten. Bei Peter Janisch, dem 1925 geborenen Wiener – mehr noch: angestammten Hietzinger mit allen schönbrunnerischen Traditionen! – verhielt es sich so, daß er die Neigung zu beiden Berufen, dem wissenschaftlichen wie dem künstlerischen, von zwei Generationen der Familie erbte. Sein Großvater fuhr als Kriegsmarinearzt noch auf einer der letzten Fregatten aus der Schlacht vor Lissa durch die Adria und avancierte später zu hohen militärärztlichen Rängen. Die Mutter, Adrienne Janisch, war Schauspielerin und Rundfunksprecherin seit den ersten Zeiten des „literarischen Radios“. Wie sein Bruder Michäl, der langjähriges Mitglied des Burgtheaterensembles ist, wurde er am Reinhardt-Seminar ausgebildet, debütierte in Innsbruck und war an der Josefstadt als verläßlicher junger Einspringer geschätzt. Aber dann führte der böse Zufall Regie: eine schwere Erkrankung erzwang den Abgang von der Bühne. Nun wandte sich Janisch ganz dem bereits früher nebenbei begonnenen Medizinstudium zu. Während er sich langsam erholte, konnte er zwischendurch wieder Stückverträge als Darsteller annehmen. Was den von Natur fleißigen und zudem rasch vom Ernst des Lebens gereiften cand. med. nicht hinderte, zeitgerecht sein Doktorat zu machen. Damit war er wahrhaftig ein „Arzt am Scheidewege“, nun galt es in diesem Fall nicht, wie in G. B. Shaws Drama, fremdes, sondern das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Thespis lockte stärker als Aeskulap. Statt von der Wiener Universität in die Alserstraße einzuschwenken, zum Allgemeinen Krankenhaus, überquerte Dr. Janisch den Ring, wo sich schräg vis-a-vis das Kellertheater „Die Tribüne“ eingerichtet hatte. Dort spielte und inszenierte er dann fast pausenlos. Finanzielle Durststrecken bewältigte er mit erhöhtem Energieaufwand und zusätzlichem Pensum, als Mitarbeiter der pharmazeutischen Industrie. 1963 übernahm er von dem mittlerweile verstorbenen, sehr begabten und verdienstvollen Schauspielerkollegen Peter Weihs die künstlerische Leitung der Melker Sommerspiele, die seit 1961 veranstaltet werden. Peter Janisch kam als Regisseur, Spiritus Rector und Darsteller, treffender noch gesagt: als Prinzipal nach der alten farbenreichen Wortprägung. Der Akademiker in ihm ist Homo Sapiens, der Theatermann indes Homo Ludens. Zwei Wesenshälften, die einander glücklich ergänzen. Schauspiel bedeutet ihm Verzauberung, Schöpfung freier Phantasie, verbunden mit dem Talent zur subtilen Einfühlung in Eigenart, Stimmung und Milieu des Werkes, eine Gabe, die außer dem Musischen ein hohes Maß an persönlicher Kultur und lebendiger humanistischer Bildung voraussetzt. Er konzentrierte sein Interesse auf die Spielstätte vor dem Barockpavillon im Stiftspark, die er sehr rasch zu einer der besten und beliebtesten Freilichtbühnen Österreichs machte. Sehr individuell auf dem geistigen Erbe Max Reinhardts aufbauend, schuf er jeweils für die wenigen Sommerwochen ein Ensemble und mit diesem einen eigenen „Melker Stil“, nützte alle Vorzüge des pastoralen Schauplatzes und machte durch gute Einfälle wett, was zwangsläufig an bühnentechnischen Hilfsmitteln fehlte. Von Anfang an erstrebte er ein Theater der Dichtung und der Schauspieler, eine Bühne, auf der sich das Komödiantische voll entfalten kann. In Harmonie mit allen Reizen des Ortes, der nicht bloß als Hintergrunddekoration in das Geschehen einbezogen ist. Kurzum: Peter Janisch sucht das Ergötzliche zu bieten Solche Absicht bestimmte die Stückwahl: Theater der Heiterkeit, immer ein wenig so dargebracht, als sei es ein Hofmannsthal’scher Großer Herr, der da an einem schönen Sommerabend in seinem Garten liebe Gäste unterhalten will. Mit Meisterwerken aus dem österreichischen Repertoire und der Weltliteratur. Raimund, Nestroy, Shakespeare, Moliere, Goldoni, von Jahr zu Jahr in zyklenartigen Inszenierungen, denen Publikum und Kritik den Erfolg des Regisseurs und der Mitwirkenden bescheinigte. Schon 1967 hatte Janisch außerdem Veit Relin, den damals nach Deutschland abwandernden späteren Gatten Maria Schells, als Leiter des Wiener ,,Ateliertheaters“ abgelöst. Im Souterrain beim Naschmarkt setzte er eine Reihe wesentlicher Premieren in Szene. Meist ganz andere, viel härtere Faktur als in der Aura Melks, ,,Stücke zur Diagnose unserer Zeit“. Spricht so der Mediziner oder das Schauspielernaturell? Beide.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1982