Peter Kubelka

Sonderpreis
Künstlerisches Filmschaffen

Sein Werk ist bereits Legende

Die sechs Filme von Peter Kubeika bedeuten ein selbständiges Kapitel in der österreichischen Filmgeschichte. Hier liegt ein kompaktes Werk vor, natürlich noch lange nicht abgeschlossen, aber durchaus autonom gegenüber zeitgenössischen und benachbarten Tendenzen. Selbstverständlich handelt es sich nicht nur um ein österreichisches Phänomen. In den sechziger Jahren war Kubeika der erste Wiener Filmemacher, der den Sprung ins Ausland riskiert hat und vom New Yorker Underground“ enthusiastisch als Familienmitglied akzeptiert worden ist. Wenn wir heute von einem Neubeginn des österreichischen Films sprechen dürfen, dann gehören zu den Voraussetzungen dieses Neubeginns auch die persönlichen Anstrengungen Kubelkas. Er hat Wesentliches dazu beigetragen, daß sich in Österreich – und über Österreich hinaus -.wieder eine Filmkultur etablieren konnte. Zu diesen seinen Leistungen zählt aber nicht allein die künstlerische Arbeit. Kubeika ist ein strenger und kompromißloser „Artist“ in des Wortes anspruchsvollster Bedeutung. Er ist aber auch der erste Filmpolitiker Österreichs gewesen: kein Lobbyist freilich, doch ein bedeutender Inspirator und Organisator. Er hat in Wien das Österreichische Filmmuseum mitbegründet, die früheste und heute noch führende Cinemathek des deutschsprachigen Raums, ein Vorbild und Modell für die später entstandenen alternativen und kommunalen Kinos, denen wir derzeit eine hoffnungsvolle Entfaltung cineastischer Kultur verdanken. In dieser Sphäre blieb Kubeika lange Zeit ein Einzelkämpfer. Neid, Intrigen, Unverständnis beschwerten seinen Lebenslauf, wie wir das aus den klassischen Künstlerbiographien kennen. Und obwohl er sich selbst zu Recht! als Avantgardist, als Neuerer und Experimentator versteht, hat seine Persönlichkeit schon bald den Nimbus des Klassikers erhalten. Auch seine Auffassungen über Film, Kino und Medienkultur streben die Schaffung und Verteidigung klassischer Maßstäbe an. Kubeika hat als erster in Wien gepredigt: Film ist mehr als Unterhaltung, Film kann mehr als Investition, Produktion und Publikumserfolg bedeuten. Man muß den Film endlich ernst nehmen: als eine eigene Sphäre der Kunst, gleichberechtigt mit moderner Musik, Malerei, Literatur und sogar mit der Philosophie. Aus diesem Denken heraus ist die Konzeption des Österreichischen Filmmuseums entstanden: ein Museum“ deswegen, weil hier die filmische Ästhetik zwar konserviert, aber auch demonstriert werden soll. In der Praxis bedeutet das: ungekürzte Originalfassungen in der Ursprungssprache (auch wenn es Russisch oder Japanisch ist), komplette Retrospektiven, zuverlässig recherchierte Informationen. Der Zuschauer wird zum kritischen Interesse anstatt zum flüchtigen Konsum erzogen. Der Filmpolitiker Kubeika ist stets auch ein fast fanatischer Filmpädagoge gewesen. Jahre und Jahrzehnte mußten vergehen, bis diese im Grunde selbstverständlichen Ansprüche einer größeren Öffentlichkeit verständlich gemacht werden konnten. Kubelka hat auch über die Architektur des Kinos gründlich nachgedacht und das Projekt eines idealen Vorführsaales (das „schwarze Kino“) entworfen. Für Denken und Arbeit dieses Künstlers ist es charakteristisch, daß er von elementaren, bestechend einfachen Grundgedanken ausgeht und aus ihnen eine mathematisch konsequente Systematik in Theorie und Praxis entwickelt. Eben diese logische und moralische Konsequenz hat ihm zunächst vor allem in Wien mehr Feinde als Freunde geschaffen. Kubelkas künstlerische Arbeit gehört zur Tradition der modernen Avantgarde, die für uns heute beinahe schon Geschichte geworden ist; er verfolgt im Film analoge Interessen wie die atonale Musik, die kubistische Malerei, die konkrete Poesie, die analytische Philosophie. Das Kunstwerk ist eine sachliche Leistung der kritischen Intelligenz, es entsteht als ein durchdachtes Produkt, nicht nur als expressiver Ausdruck einer individuellen Gefühlslage. Der Filmemacher wie jeder seriöse Künstler hat die Pflicht, etwas Allgemeingültiges zu schaffen, er macht eine gewissermaßen wissenschaftliche Entdeckung, er muß sich wie ein Mathematiker oder wie ein Philosoph ein bestimmtes Problem stellen, um es dann methodisch und exakt zu lösen. Logik ist ebenso wichtig wie Phantasie. Eben darin liegt der Anspruch auf „Klassik“. Kubelkas Beitrag zur modernen Ästhetik ist die Konstruktion des metrischen Films“: eine strenge musikalische Komposition, bei der mit jedem einzelnen Filmkader (dem Vierundzwanzigstel einer Sekunde) gerechnet wird. Ubrigens, snobistische Vorurteile sind diesem Ästhetiker immer fremd geblieben: Peter Kubeika hat gerade die sonst kaum beachteten und wenig geachteten Randgebiete seines Metiers berücksichtigt. Auch auf diesem Gebiet verdanken wir ihm einige Entdeckungen. Im Österreichischen Filmmuseum wurden dem Wiener Publikum die Wochenschaufilme, der Propagandafilm, die Gangster- und Wildwestfilme, Zeichentrickfilme und die wissenschaftlichen Lehr- und Dokumentarfilme vorgestellt; neben und zwischen den Retrospektiven eines Carl Theodor Dreyer, eines Dziga Vertov und der anderen großen Klassiker in der Geschichte des Kinos. Kubelkas Werk von ,,Mosaik im Vertrauen“ (1955) bis zu „Pause!“ (1977) ist heute eine Legende geworden, ebenso mythisch wie sein langjähriges Projekt ,,Monument für die alte Welt“. Unter den heutigen Umständen versteht man kaum noch, wieviel Courage, Selbstvertrauen und übermenschliche Opferbereitschaft nötig gewesen sind, um so einzigartige Filme wie „Adebar“, „Schwechater“ und ,,Arnulf Rainer“ zu machen. Es sind extrem kurze Filme, die beim ersten Mal dem Zuschauer eine unwahrscheinliche Konzentration auf Bild und Ton abverlangen. In drei oder in sechs Minuten wird intensiv und konzentriert ein ganzes Weltbild zusammengepreßt. Jeder Film Kubelkas brauchte Monate und Jahre zur Entstehung, jeder war eine schwierige Geburt“, und jeder ist darauf angelegt, immer wieder von neuem angesehen, studiert, analysiert zu werden. Nicht genügend ist der zerstreute Blick auf eine Leinwand, wo imposante Bilder überstürzt vorüberrauschen; hier ist man auf die systematische Lektüre und Entzifferung einer frisch geschaffenen Filmsprache angewiesen. Die Grammatik dieser Filme muß man studieren, wie man eine Fremdsprache oder auch einen fremden und schwierigen Tanz studiert. Belohnt wird der Zuschauer mit dem Lustgefühl, ein Vokabular oder einen Rhythmus zu beherrschen, der ihm neue Gedanken, ungeahnte Erfahrungen, eine veränderte Lebensweise ermöglicht. Kurz, das Werk Kubelkas beansprucht dieselbe Aufmerksamkeit, die von den epochalen Innovationen in der Geschichte der Kunst stets erzwungen wurde. Daher sein theoretisches und praktisches Interesse für die Gesamtheit der Filmgeschichte, von Hollywood bis zum esoterischen Experimentalfilm. Trotzdem wäre es ganz einseitig und sogar irreführend, nur die intellektuelle und formale Leistung Kubelkas zu respektieren. Quell und Nährboden seiner Filme ist eine physische Sinnlichkeit, ein intensives Erleben mit Augen und Ohren, ein Hunger nach optischen und akustischen Rhythmen, der sich auch die Kapazität des präzisen und abstrakten Denkens einverleibt. Diese fast metaphysische Einheit von Intellekt und Sinnlichkeit, von Logik und Erfahrung, ist vielleicht am schönsten in dem Film ,,Unsere Afrikareise“ (1966) realisiert worden. Die Musik ist das Vorbild dafür, wie man sinnliche Erlebnisse methodisch und konstruktiv gestalten kann. Mathematisch denkt Kubeika, weil er den exakten Rhythmus sucht. Er ist ein Klassiker geworden, weil er sich niemals von den Parolen und Tendenzen der Tageskunst und Gesellschaftskünstler hat verführen lassen.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1983