Räume aus flüchtigen Bildern
In ihren frühenVideoarbeitenverknüpft Romana Scheffknecht Bildfragmente oder kurze narrative Sequenzen mit Textpassagen oder Ton. Im Mittelpunkt steht die Beziehung des Bildes zum Klang im Raum. Im Laufe der achtziger Jahre treten Ton und Erzählungzunehmend in den Hintergrund. Sie werden abgelöst durch immer komplexer werdende Installationen von abstrakten Lichtbildern in räumlichen Ensembles. Die Videobilder werden flüchtig, sie verlassen ihren Platz auf der Mattscheibe und besetzen den Raum als Projektionen. Computeranimierte Formen undTextpassagen werden an Wände geworfen oder in Spiegeln reflektiert. Scheffknecht zeigt ihre Bilder als Endpunkt von Energiebündeln, die sich als Projektionen materialisieren. In jüngster Zeit wird das videogenerierte Bild gelegentlich auch abgelöst durch Dias oder andere Formen von Lichtquellen. Dabei bleiben strukturelle Konzeptionen und Fragen der Wahrnehmung im Mittelpunkt. Beispielhaft für die konzeptionelle Veränderung in Scheffknechts Arbeit ist eine Installation, in der zwei Monitore und zwei Stahlrahmen mit mehreren Glasscheiben auf dem Boden einander im Raum gegenüberstehen. In leichter Verzögerung laufen immer gleiche weiße Streifen diagonal über die Bildfläche, kreuzen und überschneiden sich und scheinen sich bisweilen zu verfolgen. Es entsteht das einfache Zeichen einer X-Form, das sich als Strahlung im Raum ausbreitet, denn die Lichtstreifen beschränken sich nicht auf die Monitore, sondern spiegeln sich jeweils in den drei Glasscheiben, die hintereinander in den Stahlrahmen eingespannt sind. Die hinterste der drei Scheiben ist rückseitig schwarz gestrichen und wirkt so als ein farbenschluckender Spiegel, der das Lichtzeichen als reine weiße Form zurückwirft. Auf dem Weg durch die Glasscheibe erfahren die X-förmigen Lichtlinien eine mehrfache Berechnung und geben mit jeder Stufe der Spiegelung ihre Klarheit und Eindeutigkeit ein weiteres Stück preis. Die Ränder vervielfachen sich, werden unscharfundverschwimmen. Nur im Mittelpunkt der Streifen bündelt sich das Licht. Wie sich beim mehrfachen Fotokopieren die hellen und die dunklen Flächen bei jedem weiteren Kopiervorgang weiter zusammenballen und ihre mimetische Lesbarkeit sich in abstrakte Formen verwandelt, so verdichten sich die Lichtzeichen im Projektionsraum der Installation zum energetischen Feld. Schon die auf dem Monitor erscheinende Information ist das Ergebnis eines solche Vervielfältigungsprozesses. Es ist ein abgefilmtes Monitorbild: Romana Scheffknecht hat das Muster als elektronisches Zeichen erzeugt- eine sehr einfache Form der Computeranimation – und deren Bild von einem Monitor mit derVideokamera aufgezeichnet. Die durch die Spiegelungen entstehenden Raumkoordinaten erfordern eine vollständige Erfassung durch Umschreiten der gesamten Installation. Nicht die reine, körperlose Anschauung ist für dieses materielle Ambiente aus bewegtem Licht angemessen, sondern Bewegung im Raum. Die Position der Monitore und Stahlrahmen auf dem Boden stellt als sockellose Skulptur einen weiteren Bezug zum körperlich-räumlichen Erleben der Zuschauer her. Die räumliche Dimension ist in den frühen neunziger Jahren ein neuer Aspekt im Werk der Videokünstlerin und Bühnenbildnerin. Von Beginn der achtziger Jahre an hatten zunächst Untersuchungen zum Verhältnis von Bild und Klang, später Ansätze zu einer Synthese von Texten und Zeichen die Wahl der Gestaltungsmittel bei Scheffknechts Videoarbeiten bestimmt. Mit Mehrkanalvideoinstallationen und Projektionen erweiterten und verdichteten sich die Arbeiten im Laufe der folgenden Jahre, und es entstanden Ambiente, die poetische undphilosophische Elemente miteinander verknüpfen. Stets sind die Arbeiten konzeptuell angelegt und thematisieren gleichermaßen Bedingungen des Mediums und inhaltliche Dimensionen der verwendeten Bilder und Texte. Die suggestive Macht visueller Formulierungen, kritische Fragen zu Wahrnehmungsvorgängen und die Frage, was Bilder eigentlich sichtbar machen, überprüft Romana Scheffknecht in zahlreichen Ansätzen. In diesem Sinne ist X-Ray jenseits der ästhetisch-formalen Erscheinung eine wissenschaftskritische Arbeit. Die Zeichen, die die Strahlung aufbauen-immateriell und unsichtbarwie Röntgenstrahlen, X-Ray, sind die älteste und bekannteste medizinische Diagnosemethode zur Sichtbarmachung des Körperinneren. Sie liefern ein zeichenhaftverfremdetes Bild undvermitteln eineWahrnehmung leiblicher Verfassung als visuelle Darstellung. Der diagnostische Blickbeansprucht aufdiese Weise medizinische Allgemeingültigkeit und Definitionsmacht über den menschlichen Körper. Dies reflektiert Romana Scheffknecht-imwahrsten Sinn des Wortes. Sie macht die Uneindeutigkeit und Komplexität hinter den einfachen Formen erfahrbar. Was daraus entsteht – Räume aus flüchtigen Bildern-überwindet die Allmachtsillusion positivistischen Denkens und stellt ihm assoziative Kraft elektronischer Zeichen entgegen.