Traudl Pichler

Bildende Kunst

Die Farbe als bildhafter Gestaltwert

Versucht man die verschiedenen künstlerischen Richtungen der letzten fünf Jahrzehnte auch in bezug auf deren kunsttheoretische Hintergründe und Zielrichtungen zu quantifizieren, so ist in ihnen im überwiegenden Maße immer von der Form die Rede. Die Farbe als eigene gestaltende Qualität in ihrer reichen Entfaltungsmöglichkeit über den ganzen Farbkreis scheint hinter der Form zurückzutreten. Ihr werden mehr oder weniger Begleitfunktionen zugeteilt. In der Ecole de Paris erhält die geometrisierende, konkrete Malerei gleich nach dem Krieg ein starkes Gewicht. In dieser Stadt war schon in den vierziger Jahren alles zusammengeströmt, was die konkrete Form als Gestaltungsträger bildnerischer Harmonie verstand: von Mondrian und Doesburg über Magnelli bis zu Arp. Neben ihnen verbreiterten Künstler der kubistischen Generation Herbin und Kupka und jüngere Mitglieder der „Stijl“-Gruppe Del Marle und Domela die Basis. Die kontruktivistische Skulptur, von Pevsner bis Jacobsen, bot kräftigen Beistand. Im neu gegründeten „Salon des Realites Nouvelles“ und im Salon de Mai“ fand die konkrete Kunst ihr Forum. Das tragende Konstruktionsmoment dieser Malerei ist die geometrisch definierte Form; sie trägt die Farbe gleichsam als Qualitätsgewand auf sich. Im abstrakten Expressionismus als Gegenströmung ist die Farbe vorwiegend Stimmungsqualität im Sinne einer inneren Veranlassung. Seit den Farbimprovisationen des frühen Kandinsky, seit Delauneys Orphismus, seit dem Synchronismus der amerikanischen Künstler ist die Farbe als eigener Gestaltwert sehr zurückgetreten. Das evokative Bild als selbständige Konstruktion wurde eben von der Form her erarbeitet. Die von Gauguin ausgehende Richtung, die die reine Farbqualität in Angriff zu nehmen gedachte, und die in Kandinskys frühem abstrakten Expressionismus gipfelte, hatte durch die Überbetonung der Ausdruckswerte und der Symboldeutung der Farbe ihr Ziel nicht erreicht und sah sich bald gezwungen, sich an den Kubismus anzulehnen. Denn dort, in der Kette von Cezanne bis Juan Gris, war die autonome Bildgestalt fest ausgearbeitet worden. So bewegte sich die abstrakte Malerei seit „Stijl“ und Konstruktivismus bis in die einzelnen Richtungen der Abstraction Creation“ nicht im Gebiet der autonomen Farbe, sondern im Bereiche der autonomen Form. Auch ,,Action painting“ und ,,Informel“ nahmen relativ bald die Zügelung der freien malerischen Geste wieder auf sich, um den orphischen Strom der Farbe und ihrer Suggestion in ein festes Gefäß fassen zu können. Im Grunde bleibt da eine ganze, für die „reine“ Malerei eminent wichtige Frage vor ihrer eigentlichen Lösung stehen, die auch von verschiedenen Richtungen der letzten Jahre nicht gefunden werden konnte. Die malerische Pracht der freien Farbe und das Vielstimmige ihrer Figuration locken die künstlerische Phantasie mächtig, sich in Träumen und Träumereien zu ergehen, ihren Konstellationen im Nachhinein Deutungen zu unterschieben, die nicht so ohne weiteres anzutreffen sind. Die Kraft der Farbe, das menschliche Assoziationsvermögen in Bewegung zu setzen, ist ihrer eigenen Erscheinung im Hinblick auf ihre eigene Eindeutigkeit höchst hinderlich. Animistisches, Magisches, Mythisches, Lyrisches, Expressives ist in ihr relativ leicht zu vollziehen, nachzuvollziehen, auch zu interpretieren, hineinzugeheimnissen. Eine geringe Veränderung, eine Übersteigerung, eine kleine Willkür rücken ein schon Geschehenes, Gemaltes in eine andere Dimension, erfährt eine a priori nicht vom Künstler angestrebte Sinngebung. So wird die Aufgabe, die reine Farbe als konkreten Gestaltwert einzusetzen, zum Prüfstein künstlerischen Vermögens und künstlerischer Aufrichtigkeit. Für Pichler wird sie existenzielles Anliegen. Die Vorstellung von der Malerei als einer geistigen Tätigkeit, die wie die Musik mit dem konkreten Material ihrer Mittel einen geistigen Erlebnisbereich in einen selbständigen Organismus (Bild) verwandelt, ist eingebunden in einen Bewußtseinsgrund, in dem hellwache Methodik und imaginative Kraft in unmittelbarer Wechselwirkung stehen. Je kraftvoller die Durchdringung von Methode und Intuition ist, desto zwingender wird die Gestalt des Werkes und dessen Aussage. Freie psychographische Formen treten in natürliche Nachbarschaft zu Formgebilden nach der Natur. Die Farbe modifiziert und akzentuiert auf sehr poetische Weise. Dieses lyrische Abtasten des menschlichen Empfindungsraumes hält sich bei Pichler in Schwebe zwischen dem passiven Annehmen der aufklingenden bildnerischen Impulse und der aktiven Formschöpfung. Das Inhaltliche, das dabei gefunden wird, ist seinem Wesen nach ohne Aggression. Gestalt ist Erfahrenes, Erlittenes, nicht Erhandeltes. Figurales bedeutet ihr nichts abbildhaft Gegenständliches, es ist durchaus abstrakte Figuration, die dadurch auch in emblematische Nachbarschaft zur gegenständlichen Welt geraten kann, der aber essentielle Personalität eignet. Es geht immer um präzis bildhafte Inhalte. Der Bildaufbau der Stilleben ist signifikant. Pichler stellt ihre Gegenstände unmittelbar auf die Bildfläche und enthebt sie dadurch weitgehend dem subjektiven Raumempfinden, sodaß eine objektivierte Relation zwischen atmosphärischem Raum und Gegenstand, nicht aber deren perspektivisch-subjektiv wahrgenommenem Erscheinungsgefüge entsteht. Sie minimalisiert damit den Täuschungseffekt dreidimensionaler Bildwirkung, ohne auf Elementarformen der dargestellten Gegenstände zu verzichten. (Vase, Tische usw.) Die figurative Abwandlung dieser Form bleibt streng im Zweidimensionalen der Bildfläche gehalten. Formal bedingte Veränderungen der gegenständlichen Ausgangsformen und Dinge werden, wenn notwendig, jederzeit vorgenommen. Illusionistische Mittel, wie perspektivistische Objektverkleinerungen oder Farbverwischungen zur Erzeugung des Eindrucks von räumlicher Tiefe, kommen für die Künstlerin nicht in Frage. Ebenso reinigt sie die Bildgefüge von jeder Skizzenhaftigkeit des flüchtigen Momenteindrucks. Der Wille zur Klärung des künstlerischen Anliegens ist ein totaler, die Farbe wird zum konstitutiven Prinzip der Darstellung. In den ersten Jahren beschreitet Pichler ähnliche Wege wie Bonnard, Bazaine, de Stäl, Riopelle, die die freie Entfaltung der Farbmelodie an kubistische Formmuster, an gegenständliche oder expressive Absichten binden. Farbskalen, die man hierzulande gerne als französisch bezeichnet, dominieren. Die Konstruktion des Bildes, Flächendekor und Raum, arbeitet noch mit gegenständlichen Konstellationen und Hinweisen. Bald aber erreicht sie absolute Eigenständigkeit, und die Farbe beginnt sich aus ihren selbstständigen Impulsen zu organisieren. Zwar liegen noch figurale Themen zugrunde, aber sie werden eingefügt in eine Farbordnung, die das Figurale nur mehr als Grundthema für farbmusikantische Entwicklungen und Paraphrasen anerkennt. Die Farbe ordnet sich in Komplementärakkorde und chromatische Passagen, die sich durchdringen und der Bildfläche selbständige Spannung verleihen. Die Bildordnung wird allein durch die Distanzwerte der Farbe hergestellt und erscheint als rhythmisiertes Flächenrelief. Die Architektur des Farbgefüges wird immer exakter, klarer, gebauter, strenger. Die logische Disziplin der Komposition und die malerische Leidenschaft halten sich dennoch im Gleichgewicht. Alles graphisch Markierte ist zurückgenommen, die Farbe allein trägt das Bild. Mitunter fingerdick übereinandergeschichtet, in sich überaus reich nuanciert, grenzen die einzelnen Farbbezirke aneinander, lassen Figurationen entstehen, die als eigene Teilwerte das Gesamtbild bestimmen. Die Farbe ist nicht Träger, nicht gesetzt für etwas, sondern Gestalt an sich. Mit der Farbe als konkretem Gestaltwert und der Methodik ihres Einsatzes ist der Malerei ein neues, weites Feld geöffnet. Die ewige Metapher von der „Musik der Farbe“ ist bei T. Pichler in hohem Maße verwirklicht. BIOGRAPHIE 1941 in Mühlheim/Ruhr geboren. 1961-1965 Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien und Abschlußdiplom. 1965-1968 Einzelausstellungen von Ölbildern in der Galerie der Österreichischen Staatsdruckerei in Wien (1965), in der Galerie Kontakt in Linz (1966), in der NÖ Handelskammer in Wien und in der Residenzgalerie in Salzburg ( 1968) sowie Ausstellungsbeteiligung in der Galerie de Paris in Paris (1968). 1969 Rom-Stipendium, Aquarellausstellung im Osterreichischen Kulturinsitut. Förderungspreis für Malerei des Landes Niederösterreich. Seit 1969 Assistent an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 1970 Aquarellausstellung in der Galerie Nagel, Wien. London-Stipendium. 1971 Ausstellung von Ölbildern im Museum der Stadt Mühlheim/Ruhr und im Theseustempel in Wien. 1972 Auftrag für drei Bürgermeisterporträts der Stadtgemeinde Traiskirchen. 1974 Teilnahme am Aquarellsymposion des ORF-Landesstudio Salzburg und Ausstellung der Arbeiten im ORF Salzburg und Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ausstellung von Ölbildern in der Wiener Secession. 1975 Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Malerei. 1976 Aquarellausstellung in Tunis; offizieller Beitrag Österreichs, ausgewählt vom Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten. 1978 Ausstellung von Ölbildern in der Galerie Welz, Salzburg. 1981 Ausstellung von Ölbildern in der Galerie Welz, Salzburg. 1983 Ausstellung von Ölbildern in den Neuen Galerieräumen des NÖ Dokumentationszentrums für Moderne Kunst im Karmeliterhof St. Pölten.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1983