Wolf Dieter Bihl

Sonderpreis
Zeitgeschichte-Journalismus

Lehre, Forschung und Verwaltung

Sein Name – so norddeutsch er klingt – ist süddeutschen Ursprungs, Bihl die (Ver)schreibweisevon Bühl. Wolfdieter Bihl ist stolz darauf, sein Lebenszentrum fast immer in Niederösterreich gehabt zu haben. Zwar in Linz geboren, verbrachte er Kindheit und Jugend in Waidhofen an der Thaya, um später in das Haus seiner Frau nach Reichenau zu übersiedeln. Das Aufwachsen in Niederösterreich gab ihm die Liebe zur Natur. Er wollte Tierarzt oder Naturforscher werden, las Reiseliteratur, beschäftigte sich mit Völkerkunde, Anthropologie und Ethnologie. Hobby aus dieser Zeit ist die Ornithologie. Er stammt aus einer Familie von Lehrern und Juristen, der Vater war Mittelschullehrer für Geographie und Geschichte, der Großvater – sub auspiciis zum Juristen promoviert – Gerichtsvorsteher in Waidhofen an der Thaya. Nach der Matura am Waidhofener RG fiel Bihls Wahl auf die Berufsausbildung zum Lehrer. Der außerordentliche Universitätsprofessor des Jahrgangs 1937 wurde gleich zu Anfang seines Lebens von der Epoche geprägt, die ihn jetzt auch wissenschaftlich zentral interessiert – der NS-Zeit und dem zweiten Weltkrieg. Der Vater fiel 1945, die Mutter erzog als Kriegerwitwe mit Mindestrente das Kind. Ob der Vater je seine Kriegsbegeisterung überdacht hat, weiß der Sohn nicht. Die nie gestellten Fragen des Kindes beantwortet jetzt die Wissenschaft. Professor Bihl hält Seminare ,,Zur Geschichte des Judentums unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen Raumes“, erstellte eine Bibliographie über ,,Judentum und jüdische Persönlichkeiten“ , lehrte über ,,Theodor Herzl“ und über „Kunst und Künstler im dritten Reich“. ,,Als es noch ein heißes Eisen war, habe ich Seminare zum Dritten Reich gemacht. Man muß mit ungeheurem Wissen und Sachlichkeit, nüchtern und möglichst emotionslos versuchen, die Fakten so richtig wie möglich darzustellen.“ Doktorvater Hantsch bot dem angehenden Mittelschullehrer die ,,unwahrscheinliche Chance“ eines Assistentenposten an. Im Jahr der Promotion, 1962, trat er die Stelle einer wissenschaftlichen Hilfskraft und eines Hochschulassistenten am Historischen Institut der Universität Wien an, 1970 war er Lehrbeauftragter, 1972 Oberassistent, 1975 folgte das Habilitationskolloquium und die Erlangung der Venia legendi für Geschichte der Neuzeit, seit 1977 ist er außerdienstlicher Universitätsprofessor. Er unterrichtet amerikanische Studenten, im Sommer auch an den Wiener Hochschulkursen, geht mit Vorträgen zu Arbeitern, Schülern und Studenten. Alle Religionen sind Ziel seiner wissenschaftlichen Neugier. Er beschäftigt sich mit dem Islam, den christlich-orthodoxen Konfessionen, dem Judentum, der Geschichte Asiens und Arabiens im 20 Jahrhundert, jener des Kaukasus und der Ukraine, jener Indiens im 2. Weltkrieg oder Persiens als Objekt der Großmächte. Die Lehrinhalte wechseln zwischen Zeitgeschichte und orientalischer Geschichte. Falls es ein regionales Interessensgebiet erfordert, erwirbt er auch die nötigen Sprachkenntnisse. Seit 32 Jahren widmet er sich Lehre, Forschung und Verwaltung- letzteres als Finanzreferent des Instituts, mehrere Jahre als Institutsvorstand. ,,Das macht immer der Bihl“ heißt es, wenn Ämter – wie jenes des Präses der Prüfungskommission Geschichte – zu besetzen waren. Neben selbständigen Publikationen entstanden unzählige Aufsätze in Fachzeitschriften und Jahrbüchern. Bihl ist seit 1976 Mitherausgeber der Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, in denen ,,Den ken über Geschichte“, „Osterreich und die deutsche Frage“, „Friedensbewegungen“ , die ,,Wurzeln der Sozialpartnerschaft“ und ,,Vom Ethnos zur Nationalität“ thematisiert werden. Er rezensierte historische Neuerscheinungen, gab Interviews im österreichischen Rundfunk, war Mitgestalter bei Portischs/Riffs ,,Österreich I“ und Berater bei einem Film über Franz Werfels Armenien- Engagement. Schon mehrfach auf den dritten Platz der Bewerbung zu einer Universitätsprofessur gesetzt, wurde er doch bis jetzt nicht mit Titel, Salär und den Arbeitserleichterungen eines ordentlichen Universitätsprofessors ausgestattet. Der fehlende Assistent bietet die Möglichkeit zur direkten Kommunikation mit den Studenten: ,,So kann ich alle Arbeiten selbst einsehen.“ Auch wenn ob der vielen Verwaltungsaufgaben – unter anderem die Finanzverantwortung des Instituts- die Forschung leidet, Bihl sucht den kommunikativen Austausch mit den Studenten ,,Ich bin keiner, der sagt: ich möchte lieber nur forschen .“ 1976 mit dem Jubiläumspreis des Böhlau-Verlages, verliehen durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften, geehrt, 1981 mit dem Ludwig-Jedlicka-Gedächtnis-Preis ausgezeichnet, wurde Bihl 1981 zur Mitarbeit in die Kommissionen der österreichischen Akademie der Wissenschaften eingeladen. Als Ehre empfindet es der Vielseitige, oft als einziger Österreicher auf internationalen Konferenzen über die Geschichte der Ukraine oder Kaukasiens zu referieren. Bihl wiederholt niemals Themen seiner Lehrveranstaltungen und liest ohne Manuskript. Kann man die Menschen mit wissenschaftlichen Seminaren bewegen? Erfolg ist rege Diskussion mit den Studenten, die sich in und nach den Seminaren abspielen. Noch keine Ehrung empfing der seit 33 Jahren in der Studentenbetreuung Tätige für diese Arbeit. Die Plätze in Professor Bihls Seminaren sind heiß begehrt – die Erfolgsquote ist hoch, negative Beurteilungen werden kaum gegeben – was weniger auf die geringen Anforderungen als auf die intensive Betreuung zurückgeht. Eigeninitiative ist gefragt – die Studenten schlagen selbst ihre Diplomarbeitsthemen vor. Einer seiner prominentesten Schüler ist Wolfgang Neugebauer, Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Die Neugier am Weiterlernen verbindet ihn mit den Studenten : ,,Dadurch, daß ich relativ viel weiß, weiß ich, wieviel ich nicht weiß.“ as er mit dem Preisgeld macht? Noch wartet die Familie- die beidenjungen, studierenden Söhne – auf Unterstützung. Und Wolfdieter Bihl wird weiterhin machen, was er immer tat: für andere da sein.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1995